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Stadt Duisburg veröffentlicht "43 Loveparade Geheimdokumente" durch Einstweilige Verfügung

Die Stadt Duisburg veröffentlicht gerade weltweit ein Gutachten einen Zwischenbericht samt sämtlicher Anhänge zu den Vorgängen rund um die tödliche Katastrophe bei der diesjährigen Loveparade. Zur Maximierung der Verbreitung nutzt sie den bekannten Streisandeffekt.

Das funktioniert so: eine von der breiten Öffentlichkeit bisher kaum beachtete Website, die das zu veröffentlichende Material zur Verfügung stellt (43 PDF-Dateien mit Anhängen), wird durch eine Anwaltskanzlei per Einstweiliger Verfügung daran gehindert, weil das Anbieten der Anhänge angeblich gegen das Urheberrecht verstoße. Die gerichtliche Aktion führt dazu, dass die Dateien innerhalb kürzester Zeit anderenorts auftauchen, beispielsweise auf Indymedia, diversen Torrents und einer Webseite des Deutschen Journalistenverbandes.

Resultat: die PDF-Dateien werden nun als "43 Loveparade Geheimdokumente" tausendfach gelesen und weiterverbreitet.

Die Ursprungsseite xtranews.de hat jetzt einen Spendenaufruf gestartet, um die vermutlich entstehenden Kosten in Höhe von rund 7.500 Euro wieder hereinzubekommen.

Und Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland braucht wohl dringend mal einen fähigen PR-Berater, solange er noch im Amt ist.

Zum Weiterlesen:
Pottblog: Adolf Sauerland (CDU), Duisburgs Oberbürgermeister, mahnt Blog wegen der Veröffentlichung von Loveparade-Gutachten ab
Augsburger Allgemeine: Loveparade – Duisburgs OB Sauerland mahnt Blogger ab
Netzpolitik.org: Loveparade – Stadt Duisburg untersagt Blog Veröffentlichung von Dokumenten
Lawblog: Der erbärmliche Oberbürgermeister

Die Boskop-Menschen (homo capensis) wußten zuviel: ausgestorben.

Mit dem Programm MeMaker aus Ubuntu Linux kann man wundervolle paläoanthropologische Rekonstruktionen anfertigen, die nur wenig realitätsferner als andere derzeit populäre Abbildungen sind.
Auf Slashdot erschien heute ein Artikel über 1913 in Boskop (auch: Boskoop; Transvaal, Südafrika) entdeckte Schädelfragmente, aus denen sich alienhafte Hominiden mit 2-Liter-Gehirnen, einem IQ von 150, großen Augen und kindlichen Gesichtern rekonstruieren ließen. Bis in die Dreißigerjahre wurde diese Idee einer intelligenten ausgestorbenen Hominidenart weitergesponnen, doch um die Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich nach vielen weiteren Untersuchungen als unhaltbar begraben.

Im letzten Jahr allerdings tauchte auf den Bestsellerlisten das Buch "Big Brain: The Origins and Future of Human Intelligence" der beiden Neurowissenschaftler Gary Lynch und Richard Granger auf, in dem diese Geschichte wiederaufgekocht wurde, und nun geistern die großäugigen hyperintelligenten Wilden (mutmaßlich schweiflos, nicht blau und kleiner als drei Meter) wieder munter durch Blogs und Magazine.

Der Paläoanthropologe John Hawks sah sich durch die Popularität dieser alten Hypothesen veranlasst, die Geschichte des "Boskop-Menschen" noch einmal aufzurollen. In seinem Blog beschreibt er die Umstände der ersten Funde, die Ableitung des Hirnvolumens aus der Knochendicke (für mehr war nicht genug Material greifbar) und die in der Folge statistisch zweifelhafte Methode, große Schädelfunde dem Boskopmenschen "homo erectus capensis" (auch "telanthropus capensis") zuzuordnen und kleinere Funde dem frühen homo sapiens oder homo erectus.
But that view is unsupportable -- in fact, what happened is that a small set of large crania were taken from a much larger sample of varied crania, and given the name, "Boskopoid." This selection was initially done almost without any regard for archaeological or cultural associations -- any old, large skull was a "Boskop".

Erstaunlicherweise gibt es noch kaum deutschsprachige Artikel zu dem Thema. Ich bin ja mal gespannt, welche Welle der Slashdot-Artikel nun wieder durch die Blogs zieht.

Stadt Dortmund will schmutzigere Klassenzimmer in Grundschulen

Dortmund hat kein Geld, doch allein der zum "Airport" aufgeblasene Flugplatz kostet die Bürger täglich rund 68.500 Euro (bei 25 Millionen Euro Defizit und 1,7 Millionen Passagieren im letzten Jahr sind das knapp 15 Euro pro Fluggast).

Um Geld zu sparen, hat der Rat am 26. November 2009 den "Maßnahmenkatalog Verwaltungsumbau 2010" vorgestellt, der die Ausgaben der Stadt rigoros zusammenstreicht, selbst wenn es auf Kosten der Gesundheit unserer Kinder geht. Auf Seite 167 (Seitenzahl: "165") der PDF-Datei des Kürzungskataloges findet sich Maßnahme Nr. 36507: Die Reinigungsabstände für die Klassenraumreinigung im ersten und zweiten Schuljahr sowie in der Offenen Ganztagsschule sollen verdoppelt(!) werden. Dadurch, dass die etwa 450 betroffenen Klassenräume nur noch halb so oft gereinigt werden, lassen sich angeblich pro Jahr 668.763 Euro einsparen.

Na, super! Abgesehen davon, dass ich die Rechnung für falsch halte (der Zeitaufwand pro Reinigung steigt schließlich mit zunehmender Verschmutzungsdauer, außerdem müssen die in den Hartz-IV-Bezug entlassenen Putzfrauen auch dann von der Stadt finanziert werden, wenn sie keine Schulen mehr reinigen), so würde diese Aktion gerade einmal dazu führen, dass das Defizit des "Airports" für weniger als 10 Tage gegenfinanziert wird. Dass Hygiene und Gesundheit in einem kausalen Zusammenhang stehen, belastet die Dortmunder Stadtverwaltung offensichtlich in keiner Weise. Dann werden halt mal ein paar der rund 10.000 betroffenen Kinder krank – na und?

Wie oft wird eigentlich die Wartehalle im Flughafengebäude gewischt?

Um nicht immer nur auf dem Flugplatz herumzuhacken: die geplante Füllung des Phoenixsees mit Trinkwasser im Herbst 2010 entspricht einem Endkundenpreis von rund 882.500 Euro (500.000m³ zu je 1,675€). Vielleicht können die Kinder, die gerade nicht krank sind, dann ja wenigstens mal einen Schulausflug zum neuen Protzstück Dortmunds machen und sich anschauen, wo das Geld versickert, das die Stadt bei ihnen einspart. Zu schade nur, dass sich das für die diversen Defizitbetriebe der Stadt bereits gesicherte Geld nicht mehr in den Stadthaushalt zurückbuchen lässt.

Raubabmahner sind Verbrecher

Der Brief der angeblichen Tanja Nolte-Berndel
Partylaune verbreitet gerade quer durch die Republik die Meldung, dass ein ganz bestimmter Anwalt aus München endlich zu 14 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. Da ich schon seit vielen Jahren hoffe, dass die, die ich verdächtige, daran beteiligt gewesen zu sein, mir 1992 unter dem Namen Tanja Nolte-Berndel mehrere Disketten abgeschwindelt zu haben, endlich angemessen bestraft werden, erfüllt mich das Urteil durchaus mit später Genugtuung. Ich hoffe sehr, dass es bald rechtskräftig und vollstreckt wird. Um übrigens nicht den Eindruck zu erwecken, das alles habe irgendwas mit der Überschrift zu tun: das deutsche Strafrecht kennt weder den Begriff des "Raubabmahners" (obwohl ich ihn sehr treffend finde) noch ist man bei 14 Monaten Haft automatisch ein Verbrecher (dazu gehören 12 Monate Mindeststrafmaß).

PISA-Schock bei der NASA

Ein 13-jähriger Schüler aus Potsdam hat nach verbreiteten Pressemeldungen eine Rechnung der NASA korrigiert und dafür bei "Jugend forscht" einen Sonderpreis erhalten. Spektakulär daran sind nicht nur der Ehrgeiz und das Engagement des Gymnasiasten, sich in dieses Thema einzuarbeiten und dabei augenscheinlich gleich einen dicken Denkfehler zu finden, sondern auch das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit eines zivilisationsbedrohenden Einschlags (wer erinnert sich hier noch an ELE?) im Jahre 2036 steigt nach seiner Korrektur von 1:45000 auf 1:450 - vorausgesetzt, er hat sich nicht verrechnet. Leider findet er seine eigenen Berechnungen zur Zeit nicht wieder, weil sein Computer wohl gerade einen Virus hat oder weil es um Patente geht oder weil er sich inzwischen einfach nur noch schämt.

Das Szenario der NASA geht davon aus, dass der Asteroid Apophis am 13. April 2029 einen sehr erdnahen Vorbeiflug vollführen und sieben Jahre später, am 13. April 2036, ein zweites und am 13. April (ach was) 2037 ein drittes Mal die Bahn der Erde kreuzen wird. Was der Schüler zu beachten glaubte, die NASA jedoch angeblich nicht, ist das Vorhandensein von Satelliten und Weltraumschrott. Durch Bremseffekte beim Durchpflügen des erdumkreisenden Hightechgürtels 2029 kann sich seiner Meinung nach die weitere Bahn des Asteroiden so ändern, dass die Einschlagwahrscheinlichkeit verhundertfacht wird.

Die NASA weist jedoch laut The Register die Kritik an ihrer Rechnung von sich. Geostationäre Satelliten formen keine Kugelschale, sondern "stehen" sämtlich in rund 36.000 km Höhe auf der Äquatorebene. Da Apophis zwar 30.000 km dicht an der Erde vorbeifliegt, die Äquatorebene jedoch in einem Winkel von 40° durchsticht, ist die Wahrscheinlichkeit, dabei einen Satelliten zu treffen, ziemlich exakt null.

Mehr zu Apophis in der Wikipedia

Gut recherchierte Hintergrundinformationen zu diesem "Medienevent" gibt es in Daniel Fischers Blog. Dort kann man auch nachlesen, warum man als Wissenschaftler gar nicht erst versuchen sollte, N24-Reportern etwas zu erklären, was wissenschaftlicher als ein Börsenkurs ist.

Nachtrag: Für die Süddeutsche Zeitung trägt Christopher Schrader im Artikel "Medialer Asteroideneinschlag - Ein Schüler gegen die Nasa" auch noch einmal zusammen, wie der Junge in das Räderwerk der Sensationsmedien geraten konnte. Hat der eigentlich weder Eltern noch Lehrer, die da ein bisschen weitsichtiger BILD und N24 an Interviews hätten hindern können?